Trotz widriger Wetterverhältnisse mit Schnee und Glätte an diesem Donnerstagabend war der Rathausfestsaal St. Johann in Saarbrücken mit über 50 Teilnehmenden gut besucht. Einführende Grußworte hielt Meike Kartes, Vorständin der ASKO Europa-Stiftung, eine der gastgebenden Organisationen des Europa-Podiums.
Das Europa-Podium ist eine Kooperationsveranstaltung des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes, der ASKO Europa-Stiftung, der Europäischen Akademie Otzenhausen und des EUROPE DIRECT Zentrums der Landeshauptstadt Saarbrücken. Die Veranstaltung erfolgte in Partnerschaft mit dem CEUS – Cluster für Europaforschung Universität des Saarlandes, dem Institut d’Études Françaises Saarbrücken, dem Goethe-Institut Nancy und der Europa-Union Saar.
Die Rolle des Weimarer Dreiecks für die Zukunft Europas
In einem kurzen Überblick umriss Meike Kartes, um welche Fragen es bei der Veranstaltung gehen soll: Welche Rolle spielen die Länder des Weimarer Dreiecks, Deutschland, Frankreich und Polen, in Europa und wie tragen sie zur Gestaltung Europas bei? Welche Auswirkungen hat das Wahlergebnis aus Polen vom vergangenen Oktober auf die europäische Zusammenarbeit? Und welche Rolle spielen junge Menschen in den aktuellen politischen Entwicklungen der drei Länder? Sind sie vielleicht ein Hoffnungsschimmer im Europawahljahr?
Die Podiumsdiskussion wurde von Dr. Landry Charrier, Leiter der deutsch-französischen Zeitschrift “Dokumente/Documents”, moderiert. Meike Kartes stellte ihn als "überzeugten, aber auch kritischen Europäer" vor, der die Staaten des Weimarer Dreiecks durch seine Arbeit gut kenne. Die Podiumsteilnehmer: Stephen Bastos, Projektleiter bei der Stiftung Genshagen, Dr. Claire Demesmay, Europa-Gastprofessorin am CEUS der Universität des Saarlandes im Sommersemester 2023 und Wintersemester 2023/2024, und Anna Witkowska, Studentin, Hochschule für Technik und Wirtschaft Saar, und als aus Polen stammende Pädagogin Kennerin der dortigen politischen und gesellschaftlichen Lage.
Polens Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Lichtblick
Den Wahlsieg des Bündnisses von drei pro-europäischen Oppositionsparteien bei der Wahl in Polen im Oktober 2023, sahen alle drei Diskutanten als einen großen Lichtblick nachdem acht Jahre lang Rechtspopulisten und Nationalisten an der Regierung waren. “Noch ist Polen nicht verloren”, diese erste Zeile der polnischen Nationalhymne kam Anna Witkowska bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse in den Sinn. Diese Erleichterung wurde aber kurz darauf von der Erkenntnis getrübt, dass fast 35% der Wähler der anti-europäischen Partei PiS “nichts dazugelernt” hätten, so Witkowska.
Der Wahlerfolg der nationalkonservativen PiS-Partei im Jahr 2015 sei eine tiefe Zäsur gewesen, betonte Stephen Bastos; insbesondere hinsichtlich der Beziehungen zwischen Polen und Frankreich, deren Zusammenarbeit ab diesem Zeitpunkt “sehr schwierig” geworden sei.
“Selbst wenn unter der PiS-Partei der Rechtsstaat regelrecht demontiert worden ist, so haben wir jetzt immerhin eine stabile Regierung und Mehrheit im polnischen Parlament, die sich einig und entschieden ist, den Rechtsstaat wiederherzustellen”, fügte Bastos an.
Etwas problematisch bleibe die Lage in Polen dennoch, weil Präsident Duda, der den Nationalkonservativen der PiS-Partei nahesteht, noch anderthalb Jahre im Amt sein wird und damit wohl noch so manche Vorhaben zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit blockieren werde.
Ein weiterer “Stresstest” der französisch-polnischen Beziehungen sei der Krieg in der Ukraine, so Stephen Bastos. Präsident Macrons Vermittlungsversuche mit Putin vor der russischen Invasion hätten das Vertrauen Frankreichs in Polen beschädigt.
Vertrauen und der Wille zur Zusammenarbeit
Dr. Claire Demesmay beschrieb die Sicht der französischen Regierung auf die Beziehungen zu den Partnerstaaten im Weimarer Dreieck. Die deutsch-französischen Beziehungen hätten bei der Pariser Regierung die größte Priorität. Sie zähle Deutschland zu ihren “privilegierten Partnern”, was Macron auch bei seiner Sorbonne-Rede im Jahr 2017 deutlich gemacht habe.
Dennoch könne sich in der Praxis daran etwas ändern, denn eine Antwort von Deutschland auf die Sorbonne-Rede fehle bis heute, stellte Demesmay fest. “Gerade mit der neuen pro-europäischen Regierung festigt Polen seine Rolle als wichtiger Ansprechpartner von Frankreich für Osteuropa”, konstatierte sie. Polen könne der neue geeignete Partner an Frankreichs Seite werden, um Macrons Vision einer souveränen EU in reale Politik umzusetzen. Denn während Frankreich eine Europäisierung der Sicherheitspolitik anstrebe, habe Deutschland schon immer die transatlantische Ausrichtung in diesem Bereich bevorzugt.
Nach einer Vertrauenskrise durch Kritik am Zustand der NATO und Verhandlungsversuche mit Putin schaffe Macron jetzt durch konkrete Taten wie ein ambitioniertes Kooperationsangebot an Polen oder die Stationierung französischer Soldaten in Estland und Rumänien wieder neues Vertrauen in Osteuropa. Dazu beigetragen habe auch Frankreichs überraschende Kehrtwende hin zur Zustimmung zum Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau zur EU sowie zum Beitritt der Ukraine zur NATO, hob die Politikwissenschaftlerin Demesmay hervor.
Nach Einschätzung von Anna Witkowska ist für Polen die Anerkennung seiner Rolle als einflussreicher und kompetenter Staat in Osteuropa durch Deutschland und Frankreich sehr wichtig.
Vertrauen habe aber auch Deutschland in Osteuropa verloren, weil es bei seiner Energie- und Sicherheitspolitik in den letzten Jahrzehnten gegenüber den Gefahren aus Russland blind gewesen sei und nicht auf die vielfach geäußerten Bedenken der osteuropäischen Länder reagiert habe, erklärte Stephen Bastos. Polen sei eine klare Linie von Deutschland zur Ukraine wichtig, damit einer Zusammenarbeit im europäischen Kontext nichts im Wege stehe, unterstrich der Politikwissenschaftler.
Eine Vision für das Weimarer Dreieck fehlt
Die Podiumsgäste stimmten überein, dass das Weimarer Dreieck ein intelligentes Instrument zur Sicherung von Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa sei und dass die Zeichen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit aktuell wieder gutstünden. Dennoch fehle dem Gesprächs- und Konsultationsforum heute der klare Kompass, d.h. ein großer strategischer Ansatz für Europa, zog Bastos als Fazit.
Demokratiebildung ist jetzt wichtig
Gefragt nach der Rolle der jungen Menschen in Polen an den gegenwärtigen politischen Prozessen, antwortete die Pädagogin Witkowska, dass die jungen Leute allgemein so stark politisiert und mobilisiert seien wie lange nicht mehr. Ihr politisches Interesse und ihre Wahlbeteiligung nähmen seit 2018 kontinuierlich zu. Bei der letzten Wahl habe es eine Rekordbeteiligung junger Wähler gegeben. Dennoch habe die zurückliegende achtjährige Regierungszeit der PiS-Partei die jungen Leute in Polen tief gespalten. Rechtsnationale Propaganda und Indoktrination, das Fehlen von Demokratiebildung und Unabhängigkeit der Medien hätten vor allem bei jungen Männern rechtsnationale und rechtsradikale Einstellungen anwachsen lassen. Ihrem Wissen nach haben junge Menschen in Polen heute zu einem Viertel keine politische Meinung, ein Viertel sei liberal, ein weiteres Viertel politisch links und ein Viertel politisch rechts. Wie Polen sich im Inneren und in der EU entwickelt, hänge nun davon ab, wie viel Anstrengung jetzt in den schnellen Wiederaufbau der Demokratiebildung unternommen wird, besonders von den Unentschiedenen. Anna Witkowska blickt dennoch mit Zuversicht in die Zukunft. Sie findet: “Polen ist auf einem guten Weg.”